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Voriges Jahr hörten im Heckert-Wohngebiet gleich mehrere Allgemeinmediziner auf. Extreme Mangelversorgung ist die Folge, stellt eine Internistin fest. Doch jetzt soll es wieder besser werden. Dabei spielt auch die Digitalisierung eine Rolle.

Neue Hausaerzte Fuer Hutholz Chemnitzer Zeitung Artikel 12 09 2023 02

CHEMNITZ — Im November 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, hat Dr. Kerstin Merten ihre Hausarztpraxis in Hutholz eröffnet. Mit null Patienten, wie sie betont. Doch das änderte sich schnell. Ein Jahr später standen 1000 Patienten in ihrer Kartei, sagt die Allgemeinmedizinerin. Mittlerweile, knapp vier Jahre später, sind es 3500 Patienten. Und es werden mehr. Drei bis fünf neue Patienten nimmt sie täglich auf. Kerstin Merten, auch Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, kann sich das leisten. Denn bis Jahresende werden in ihrer Praxis vier weitere Mediziner arbeiten. Dann wird aus der Praxis ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) für die hausärztliche Versorgung. Mehr als drei Ärzte dürfen in einer Praxis nicht angestellt sein, sagt die Leipzigerin. Deshalb das MVZ.

Doch wie hat sie das geschafft, mehrere Ärzte nahezu gleichzeitig für den Chemnitzer Süden zu begeistern? Das sei nicht einfach gewesen. Die Patienten hätten ihr die Bude eingerannt. Sie habe sich gesagt, entweder stellst Du einen Türsteher an die Praxistür, der alle abwimmelt, oder du suchst massiv Verstärkung, erzählt sie. Um letzteres umzusetzen, beauftragte sie eine Agentur, nach Ärzten zu suchen. Anzeigen wurden geschaltet, Social-Media-Kanäle genutzt. Jahre passierte nichts. Dann wendete sich das Blatt. „Mundpropaganda ist das Zauberwort“, sagt Kerstin Merten. Ärzte untereinander tauschten sich aus, empfahlen sie, zudem war der Weiterbildungsverbund „Hausärzte für Chemnitz“ in die Suche involviert. Über den Verbund fand sie einen jungen Allgemeinmediziner. Seine Bedingung: eine digitalisierte Praxis. Die kann Kerstin Merten bieten. „Wir arbeiten papierlos.“ Bildschirme in den Wartezimmern informieren Patienten, wann sie dran sind und ob sie ins Labor oder in eines der Behandlungszimmer kommen sollen. Patienten mit Termin können sich an einem Express-Terminal mit ihrer Krankenkassenkarte selbst anmelden. Auf die neuen Mediziner wartet eine 35-Stunden-Woche, Fortbildungsurlaub, jeden zweiten Freitag frei und ein Mini-Computer, mit dem sie ihre Büroarbeiten von zu Hause aus erledigen können.

Eine Ärztin ist schon da: Dr. Heike Matthes, Fachärztin für Innere Medizin. Die Medizinerinnen kennen sich von früher, haben schon zusammen gearbeitet. Im August fing die 57-Jährige in der Praxis an der Fritz-Fritzsche-Straße, da wo das Heckert-Gebiet besonders grün ist, an. Die Verstärkung war dringend nötig. Aufgrund des Ärztemangels im Heckert-Gebiet gibt es viele Patienten ohne Hausarzt. Noch nie zuvor habe sie so viele schlecht bzw. seit Jahren nicht versorgte, schwer kranke Menschen gesehen, sagt die erfahrene Internistin. Vor allem viele chronisch Kranke und Ältere sind darunter, häufig verfügten sie über keine oder nicht genügend Medikamente und befinden sich in einem schlechten Allgemeinzustand. „Das ist ein Bild der Mangelversorgung, wie ich es so noch nicht gesehen habe“, sagt Heike Matthes. „Fast jeden Tag bringt der Rettungsdienst besonders schwere Fälle ins Krankenhaus“, fügt Kerstin Merten hinzu.

Neue Patienten werden deshalb umfangreich untersucht, mit großem Labor und EKG, bevor es mit den neuen Befunden und ihrer alten Krankenakte zum Erstgespräch kommt, sagt Kerstin Merten. Danach werden sie engmaschig überwacht. Die Praxis biete für sie „optimale Voraussetzungen, um in diesem mangelversorgtem Gebiet die hausärztliche Betreuung zu verbessern“, sagt Heike Matthes. Sie könne ihren Beruf mit Liebe und kreativem Denken ausüben, Ärzte seien keine Einzelkämpfer und erstickten nicht in Bürokratie. Für die Organisation der Praxis und die Abrechnungen ist eine Praxismanagerin zuständig.

Neue Patienten können sich weiter melden. Bis Ende des Jahres kommen zwei Allgemeinmediziner sowie ein Arzt hinzu, der sich in der Weiterbildung zum Allgemeinmediziner befindet, sagt Merten. Bis diese anfangen, werden die neuen Patienten in der Akut- sowie in den offenen Sprechstunden betreut. |hfn

CWE half bei der Niederlassung

Um mehr Ärzte aufzunehmen wird die Praxis in Hutholz erweitert. Von 150 Quadratmetern wuchs sie im Sommer bereits auf 300 Quadratmeter und nimmt eine komplette Etage ein. Anfang Dezember kommt das Erdgeschoss hinzu, dann stehen Kerstin Merten, ihren Ärzten und sechs Mitarbeitern 600 Quadratmeter mit sieben Untersuchungszimmern zur Verfügung. Perspektivisch möchte Kerstin Merten einen Kinderarzt anstellen.

In der Praxis sollen zudem verstärkt Assistenzärzte zum Facharzt weitergebildet werden. Neben ihr hat Heike Matthes die dafür nötige Weiterbildungsberechtigung beantragt. Die Praxis ist Lehrpraxis der Unis Leipzig und Dresden, auch Studenten des Modellstudiengangs Humanmedizin Medic, die in Chemnitz und Dresden studieren, können ein Praktikum absolvieren.

Kerstin Merten, die in Kliniken und MVZs arbeitete, erhielt bei ihrer Niederlassung 2019 Hilfe. „In Chemnitz hat man mir den roten Teppich ausgerollt.“ Eine Mitarbeiterin der CWE habe angerufen und gefragt, ob sie eine Wohnung und eine Schule für die Kinder suche, ob Unterstützung nötig sei, wo man helfen kann. „Das war supergut.“

Artikel Download:

Neue Hausärzte für Hutholz (Chemnitzer Zeitung – 12. September 2023)